Like I’ve been there before: Was “Friends” über die Migration in die USA erzählt

Vor gut neun Jahren lief in den USA die letzte von 236 Folgen der überaus erfolgreichen Comedy-Serie “Friends”. Und weil die Sendung in den 90ern zusammen mit “Seinfeld” Maßstäbe für erfolgreiche Fernsehproduktionen setzte, gab es immer wieder Gerüchte um Neuauflagen, die zunehmend deutlicher dementiert wurden. Es ist wohl eindeutig: Spätestens mit dem gescheiterten Versuch des Spin Offs “Joey” (dessen Hauptdarsteller Matt LeBlanc mittlerweile sich selbst in “Episodes” brillant spielt) war die Möglichkeit einer Neuauflage dahin.

“Friends” muss sicher niemandem besonders vorgestellt werden, daher nur das Wichtigste: Die Serie handelt von sechs Freunden in New York ((die teilweise klar definierten Orten wohnen, die Anschriften sind leicht herauszufinden und beliebter Anlaufpunkt für Touristen)), die da wären: Monica und Ross Geller (Geschwister), Chandler Bing, Joey Tribbiani, Rachel Green und Phoebe Buffay. Die um sie kreisenden Geschichten sind in erster Linie gutes Comedy-Handwerk, aber darum geht es heute nicht. Keiner der Charaktere weist eine Abstammung von amerikanischen Ureinwohnern auf ((was meines Wissens nach eine echte Neuerung im US-TV gewesen wäre)), woraus folgt, dass alle einen, verschieden weit zurückliegenden, Migrationshintergrund aufweisen. Und dieser fügt sich ein in das traditionelle amerikanische Einwanderer-Narrativ.

Monica und Ross Geller sind, das betont die Serie häufiger, zum Teil jüdischer Abstammung, ihr Vater Jack Geller ist Jude. Das macht sie nicht automatisch selbst zu Juden, nach weitverbreiteter Praxis ist ein Kind jüdisch, wenn es von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Da aber zumindest Monica ihre Bat Mizva erwähnt, ist davon auszugehen, dass die Kinder jüdisch erzogen wurden – zudem möchte Ross im Verlauf der Serie seinem Sohn Ben, der bei seiner christlich geprägten Mutter aufwächst, das Fest Hannukah näherbringen. Die Gellers repräsentieren dabei einen gemäßigt säkularen Zweig des US-amerikanischen Judentums, sie feiern Weihnachten am 25. Dezember und Neujahr am 1. Januar und pflegen eine gewisse emotionale Nähe zum Staat Israel. ((“This calls for a bottle of Israel’s finest” – Einige orthodoxe Strömungen des Judentums lehnen die ohne göttlichen Eingriff vollzogene Rückkehr nach Israel strikt ab.))
Über die Familiengeschichte der Gellers wird nicht viel erzählt, allerdings lassen sich einige Vermutungen in Hinblick auf den historischen Gesamtkontext anstellen. Der Name “Geller” leitet sich aus mehreren Ursprüngen ab: Dem deutschen Verb “Gellen” (Rufen), womit der Name auf die Tätigkeit eines Marktschreiers zurückgeht sowie die jiddischen Wörter “yel” für “Gelb” und “geler” für “Rothaariger”. Die Verteilung lässt sich bis heute nachvollziehen: Während das deutsche “Geller” vor allem in Hessen und dem Rhein-Eifel-Gebiet prominent ist, findet sich die jiddische (und damit meist osteuropäische) Variante in Berlin und dem Oder-Spree-Kreis.
Damit ist es höchstwahrscheinlich, dass die Vorfahren der Gellers zwischen 1840 und 1880 in den USA ankamen – zu dieser Zeit erlebten die Vereinigten Staaten ihre erste Welle jüdischer Masseneinwanderung, hauptsächlich aus deutschsprachigen Gebieten. Erst danach, etwa ab 1890, begann die zweite, viel größere Welle der Einwanderung osteuropäischer Juden, die das bis heute gängige popkulturelle Stereotyp des Juden mit einem “-witz” als Familiennamensende begründete. Diese Juden kamen, wie fast alle Migranten, zunächst in New York an Land, und während viele Einwanderer sofort oder zumindest bald weiterzogen, konnten die Juden auf ein existierendes Netzwerk aufbauen und blieben größtenteils in ihrer Ankunftstadt. Dort konnten sie oft von früheren jüdischen Einwanderern Englisch lernen und erste Arbeitstellen erhalten, um später beruflich in gewissem Rahmen aufzusteigen. Vorwiegend geschah dies im Textilgewerbe. ((Das Textilgewerbe boomte nicht zuletzt dank des US-Bürgerkrieges)) Aufgrund dieser Starthilfe gelang es jüdischen Einwanderern generell leichter als vielen anderen Armutsflüchtlingen, sozial aufzusteigen. Bemerkenswert daran ist, dass dies nur in minimalen Ausmaßen zu antisemitischen Vorfällen und Meinungsbildern führte, die in Europa in einer solchen Situation fast zwangsläufig gewesen wären.

Über Phoebe Buffays Herkunft ist so gut wie nichts bekannt, es ist natürlich anzunehmen, dass der Name “Buffay” aus dem Französischen stammt und aus einem “et” oder “é” in der (oft eher ruppigen) Übertragung bei der Einwanderung ein “ay” gemacht wurde.

Ähnliches gilt für Rachel Green, deren Figur zwar als Klischee der “Jewish-American princess” angelegt wurde, ansonsten aber überhaupt keine Hinweise auf ihre Herkunft zulässt.

Über die Herkunft eines Familienzweiges von Chandler Bing gibt die Serie eine präzise Information preis: Nach Eigenaussage ist er “part scottish”. Mehr allerdings wissen wir über ihn in dieser Hinsicht nicht. Schotten waren unter den ersten dauerhaften Siedlern in Nordamerika ((Angeblich waren sogar unter den ersten europäischen Entdeckern Nordamerikas im 10. Jahrhundert Schotten)), viele US-Präsidenten ((angeblich mindestens 23, wobei hier auch entfernte Verwandtschaftsverhältnisse gezählt werden)) haben schottische Vorfahren. Der Name Bing lässt keine weiteren Spekulationen zu.

Der offensichtlichste Migrationshintergrund der sechs Hauptfiguren wird bei Joey Tribbiani offenbar. Joeys Großmutter kam in ihrer Jugendzeit aus Neapel nach New York und spricht bis zur Seriengegenwart nicht Englisch. Dies entspricht dem gängigen Klischee und zum Teil auch dem historischen Gesamtbild: Der Großteil der Italo-Amerikaner kam zwischen 1880 und 1921 in die USA, zu mehr als 80% aus den südlichen Provinzen, zu denen auch Kampanien und somit Neapel gehört.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Migranten hatten viele Italiener nicht vor, in den USA zu bleiben: Je nach Befragungsort gaben zwischen 10 und 90% der Einwanderer an, eine Rückkehr nach Italien zu planen. Deshalb blieben sie größtenteils in den Städten – ein Farmerleben vertrug sich in keiner Weise mit dem temporären Charakter des Aufenthaltes. Schnell entstand der Ruf, dass die Italiener zwar kein größeres Interesse an einer Amerikanisierung ihres Lebens hätten, aber gewillt seien, auch harte Arbeit zu erledigen. Die Männer waren daher zum größten Teil Bauarbeiter und Handwerker, während die Frauen in den schon zuvor erwähnten Textilfabriken angestellt wurden. Weil diese Arbeiten schlecht bezahlt waren, siedelten sich italienische Einwanderer oft in alten, unattraktiv gewordenen Stadtteilen an, die schnell zu “Little Italys” wurden. Aufgrund dieser klar abgegrenzten Enklaven entstand, insbesondere für die Frauen der ersten Einwanderergeneration, kaum Handlungsdruck, sich über den Erwerb der englischen Sprache zu integrieren.
Erst die zweite und dritte Generation schaffte daher den Sprung aus der untersten Beschäftigungsschicht in den unteren Mittelstand, wobei die Familientraditionen, insbesondere in Namensgebung und Katholizismus, meist beibehalten wurden. In Joeys Familie ist das ablesbar: Nicht nur, dass die Familie jedes Weihnachtsfest zusammen feiert und Joey zumindest für seine Schwestern ein traditionell-katholisches Familien- und Lebensbild einfordert, seine Schwestern haben zumindest zum Teil auch typisch amerikanisierte italienische Namen: Mary Therese, Mary Angela, Dina, Gina, Tina, Veronica. Die Familie wohnt in Queens in einem typischen Mittelklasse-Haus; die Vermutung liegt nahe, dass es in Howard Beach liegt, einem Stadtteil mit traditionell hohem Anteil italienischer Ahnenschaft. Joeys Vater ist Klempner, was als Bindeglied zwischen der unteren, unausgebildeten Arbeiterschicht der ersten Generation und der Mittelklasse-Existenz der dritten Generation gelten kann.

Ziel dieses Posts ist weder, jede einzelne, vielleicht auch nur als Witz konzipierte Information der Serie zu einem weitreichenden Fakt auszubauen oder eine umfassende Geschichte der US-Einwanderung zu liefern – vielmehr sollte es ein Experiment sein, wieviel an Information auch ohne den ausdrücklichen Auftrag der Drehbuchschreiber, eine historische Serie zu schreiben, in einer solchen Handlung und ihren Charakteren steckt. In den USA wird die Herkunft traditionell für die eigene Identitätszuschreibung verwendet, über Prominente weiß man oft bis in die 8. Generation die Herkunft aller Vorfahren. Amerikaner, wie sie amerikanischer kaum sein könnten, stellen sich mit der Information vor, dass ihre Vorfahren um 1850 aus der Pfalz eingewandert seien, in gewissen Kreisen ist es der unkäufliche Ritterschlag, wenn man sich bis auf die Pilgerväter zurückverfolgen kann. Dass dieses Beispiel aus “Friends” gewählt wurde liegt einzig und allein daran, dass ich keine andere Serie besser kenne. Andere Kandidaten, die mir dazu einfallen würden, wären “Die Simpsons” oder “The Wire”. Insbesondere bei letzterem wird viel mit Namen und Herkünften gespielt, wobei dies natürlich in erster Linie die weiße Bevölkerung betrifft. Dazu vielleicht irgendwann mehr.

[Falls ich Informationen, die in den 10 Staffeln erwähnt wurden, vergessen habe, freue ich mich sehr über einen Hinweis und werde sie nachträglich einarbeiten.]

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